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Dezember 200,9 Sophia Bickhardt, Ute Großmann, Samirah Kenawi / lila offensive

Aus den friedlichen Küchen der Revolution

Wider die feierliche Verklärung von „Wende“ und Mauerfall

Wir sind die Bürgerbewegten der 2. Reihe, die „Küken“ der Berliner Oppositionszirkel, die zum Ende der 1980er Jahre Freiräume schufen, um das Kartenhaus der Lüge namens DDR zu erschüttern. Wir haben uns auch als Frauen zusammengetan, denn die ambivalente Gleichberechtigung der Geschlechter bedurfte der systematischen Kritik. Es galt, Visionen für eine deutsche demokratische Republik zu entwickeln, die diesen Namen auch verdient. Wir hatten uns bewusst dafür entschieden, die Verhältnisse „von innen“ aufzurühren, denn in der Übersiedlung in die Alt-BRD sahen wir keine Alternative.
Unsere kritische Haltung hält uns auch heute noch wach, und wir erkennen darin das Elixier für einen permanenten Prozess der Demokratisierung unserer Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund halten wir die gegenwärtig zu beobachtende Erinnerung an die DDR für unzulänglich. Zu beklagen ist ein Demokratiedefizit:

1. Wir erkennen in dem teilweise aufwändig inszenierten Gedenken an den 9. Oktober und 9. November eine Domestizierung des Geistes von 1989. Damals schickten Menschen sich an, den aufrechten Gang zu proben, sie schüttelten Anpassung und Gleichgültigkeit ab, mischten sich ein, entdeckten ihr Land, verkehrten die Verhältnisse und gaben der Veränderung ein Gesicht. Gesellschaft konstituierte sich auf Demonstrationen, an Runden Tischen, in Diskussionsforen, auf Streiks und den Besetzungen von Stasizentralen. Während des Aufbruchs 89 fiel nicht nur die Mauer, sondern öffneten sich auch die inneren Grenzen der DDR. In der Zeit des Ausgangs aus der selbstverschuldeten (?) Sprachlosigkeit rieb man sich ein ums andere Mal die Augen ob des kreativen Potenzials, das nun freigesetzt wurde. In den großartigen Jubiläumsevents dieser Tage werden diese Momente der aktiv betriebenen Umwälzung der bestehenden Machtverhältnisse jedoch verharmlost.

2. In den öffentlichen Würdigungen von „Friedlicher Revolution“, „Wende“, „Umbruch“ oder schlicht: „1989“ wird der Vereinigungsprozess, die „Wende in der Wende“ ausgeblendet. Damit bleibt die vielfach schmerzhafte „Ankunft im Westen“, bleiben die Verlusterfahrungen, neuer Anpassungsdruck und neue Ohnmacht, auch Zurücksetzung, außen vor. Diese Art und Weise des (Nicht-)Erinnerns spiegelt den Vereinigungsprozess selbst, sie mutet als dessen Aktualisierung an.

3. Da in öffentlichen Stellungnahmen die kritischen Aspekte überblendet werden, entsteht gleichsam ein doppelter Boden der Erinnerungskultur. Sie zerfällt, vereinfacht gesprochen, in ein offizielles und ein inoffizielles Gedächtnis. Man könnte meinen, dass in der Sprachlosigkeit derer, die heute die Wende und den Vereinigungsprozess kritisieren, sich das Fehlen von Öffentlichkeit zu DDR-Zeiten reproduziert. Es entsteht aber auch der Eindruck, dass in den geschichtspolitisch aufgeladenen Debatten zu „1989/90“ die Interpretationen allzu oft nach einem Schwarz-Weiß-Schema erfolgen, dass mit der Verurteilung der DDR eine Rundum-Bestätigung der Gegenwart einher geht, dass die binären Denkmuster des Kalten Krieges noch immer kultiviert werden. Versuche, die Erinnerung zu normieren, mögen den Einen Genugtuung verschaffen, einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Pluralität von Sichtweisen wird damit jedoch entgegen gearbeitet.

4. In den Betrachtungen zu den Umwälzungen von 1989/90 kommt die historische Analyse zu kurz. Das Ende des „real existierenden Sozialismus“ in der DDR (und in Osteuropa) kam durch das glückliche Zusammentreffen mehrerer, einander verstärkender Faktoren zustande: eine günstige außenpolitische Konstellation, für die die Namen Johannes Paul II., Michail Gorbatschow und Gyula Horn stehen, eine marode, auf Pump finanzierte Wirtschaft, eine mit zunehmendem Wohlstand wachsende Unzufriedenheit der DDRBürgerinnen, ihre massenhafte Ausreise, eine handlungsunfähige politische Führung, die in Denkmustern der 1930er Jahre gefangen schien, Techniken der Machtausübung, die sich durch ihren Mangel an Flexibilität überlebt hatten, die ermutigende wie inspirierende Opposition von Solidarnosc, Charta 77 und anderen Dissidenten Osteuropas, die Bewegung von Friedens-, Menschenrechts-, Dritte Welt-, Frauen-, Umwelt-, Homosexuellen- und Jugendgruppen, die bevorzugt unter dem Dach der ev. Kirche auf eine Demokratisierung der Gesellschaft hinarbeiteten sowie die intensive Begleitung der Geschehnisse durch westliche Medien. Die Formulierung „Friedliche Revolution“ legt es nahe, dass der gesellschaftliche Umbruch „von unten“, durch die Demonstrierenden und Bürgerrechtler|innen herbeigeführt wurde. Ohne den Schutz und den Druck von der „Seite“ der westlichen Öffentlichkeit aber hätte der Protest auf der Straße kaum diese Breitenwirkung erzielt. Die historische Leistung von Bürgerrechtler|innen, den Aktiven auf den Straßen und in den Bürgerforen ist hoch einzuschätzen, sie bedarf andererseits der Relativierung durch die Betrachtung des Gesamtzusammenhangs.

5. Im öffentlichen Erinnern wiederholt sich das geflissentliche Übersehen von Frauen, da deren Rolle unterbelichtet bleibt. Dabei zeigt gerade der Umbruch von 1989, dass ohne Frauen keine Revolution zu machen ist: Bereits Anfang September 1989 haben Gesine Oltmanns und Katrin Hattenhauer vor der Nikolaikirche in Leipzig das Plakat „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ entrollt, das Neue Forum wurde im September 1989 von Bärbel Bohley und Jutta Seidel angemeldet, die Mahnwache in der Berliner Gethsemanekirche wurde von Angela Kunze initiiert. Die Verantwortlichen für die späteren Übergriffe wurden von Ingrid Köppe am Zentralen Runden Tisch mit präzisen wie scharfen Fragen in die Enge getrieben, die erste Erstürmung einer Stasizentrale, in Erfurt, war das Werk einer konzertierten Aktion von Frauen, eingerührt von der Ärztin Kerstin Schön. Daneben gab es Frauen, die nicht wollten, dass der Demokratisierungsprozess an der Wohnungstür endet – in Städten wie Magdeburg, Erfurt, Dresden, Weimar, Leipzig und Berlin entstanden Fraueninitiativen, die sich dann im Dezember zum Unabhängigen Frauenverband zusammen schlossen und das Manifest von Ina Merkel „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ gleichsam zur Gründungsurkunde ihrer Interessenvertretung erhoben.

Entgegen dieser Reduktionen plädieren wir für ein Erinnern, in dem die Licht- und Schattenseiten, die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des Umbruchs von 1989 und des Vereinigungsprozesses in den Jahren danach thematisiert werden. Ostalgievorwürfe, Abgrenzungen und Thematisierungsverweigerung zeigen an, dass Konflikte bestehen. Sie kommen jedoch nicht offen zur Sprache. Was aber verdrängt wird, drängt. Eine ehrliche Auseinandersetzung tut not. Es gibt noch immer zu wenig Austausch über Schuld und Verantwortung zwischen Menschen mit ihren so verschiedenen Ostbiografien. Und es gibt noch immer zu wenig Austausch zwischen Menschen aus Ost und West. Eine lebendige Demokratie aber scheut die Versöhnung nicht. Sie ist auf ein Klima angewiesen, in dem Auffassungen nicht bereits feststehen und zur Anpassung freigegeben werden, sondern in dem auf der Basis von Wertschätzung und Respekt für das, was ist Neues gedeihen kann. Angesichts der beunruhigenden Ablehnung von Demokratie durch die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung ist ein Dialog, der die Erfahrung von Teilhabe ermöglicht, dringend geboten.
Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sind auch heute zentrale Herausforderungen, zumal weltweit. Sie anzunehmen schließt die Kritik an den gegenwärtigen Machtverhältnissen und Formen der Machtausübung ein.
Wir haben seinerzeit in Küchen zusammengefunden, um patriarchale und undemokratische Verhältnisse zu ändern. Die Erinnerung daran verstehen wir als notwendigen Teil eines Lernprozesses, um auf die drängenden Probleme der Gegenwart Antworten zu finden.

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