Karin Rohnstock
Oft rufen mich Frauen an, um mir von ihren Problemen zu erzählen. Sie wollen eine Frauengruppe vermittelt haben, um Erfahrungen auszutauschen und sich miteinander solidarisieren zu können.
Meist bin ich ratlos, weil ich keine Gruppe in Stendal, Brandenburg, Berlin-Hohenschönhausen oder Halle-Neustadt kenne. Ich versuche, die Frauen zu ermuntern, selbst eine Frauengruppe zu initiieren, indem ich erzähle, wie sich die "Lila Offensive" gefunden hat.
Anfang Oktober, nachdem verschiedene Aufrufe und Programme von oppositionellen Gruppierungen von Hand zu Hand gingen, stellten wir fest: Die spezifische Situation von Frauen wird bei den Entwürfen für eine gerechtere und nichtdiktatorische Gesellschaft wieder nicht mitbedacht. Aber diese Versäumnisse konnten wir nicht abdelegieren, unser Schweigen, unsere Verzagtheit waren Schuld, dass unsere Probleme nicht im öffentlichen Bewusstsein sind. Also ergriffen wir die Initiative. Jede fragte noch eine Freundin, ob sie nicht Lust hätte, in einer Gruppe die in der DDR herrschenden Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen zusammenzutragen und für ihre Beseitigung zu arbeiten.
Mitte Oktober trafen sich erstmals fünfzehn Frauen. Wir sprachen zunächst über unsere Erfahrungen. Wir sprachen darüber, in welchen gesellschaftlichen Bereichen Frauen benachteiligt und wie bestehende Diskriminierungen aufzuheben sind.
Wir erarbeiteten ein Positionspapier zu folgendem Grundsatz: eine demokratische Entwicklung unserer Gesellschaft ist nur durch die soziale Gleichstellung von Mann und Frau möglich.
Daraus leiten sich auch unsere Forderungen ab.
Aber wir begnügten uns nicht damit, hinter verschlossenen Türen zu arbeiten. Wir beteiligten uns an Demonstrationen mit frauenspezifischen Losungen, riefen Frauen auf, sich uns anzuschließen, verteilten Flugblätter, malten Plakate und Transparente, machten, öffentliche Veranstaltungen.
Wenn mich jetzt Frauen fragen, wie sie eine Gruppe gründen können, empfehle ich ihnen, eine Annonce aufzugeben - das Erscheinen aber dauert meist zu lange - oder an einer geeigneten Stelle in der Stadt oder im Dorf einen Anschlag zu machen. Etwa so: Frau sucht Frauen zu Erfahrungsaustausch und gemeinsamen Aktionen. (Kontaktadresse nicht vergessen!)
Sicher gibt es auch ganz andere Möglichkeiten und viel originellere Ideen, wie Frauen zueinander finden können. Schreibt uns Eure Erfahrungen, schreibt uns, was Ihr anstrebt, bei wem Ihr auf Ablehnung und bei wem auf Unterstützung getroffen seid.
Unter dem Motto "Frauen in die Offensive" gibt unsere Gruppe eine Broschürenreihe heraus, in der wir Eure Initiativen veröffentlichen könnten, damit auch andere Frauen von Euch erfahren und zur Selbsthilfe angeregt werden.
Das erste Heft dieser Reihe ist Ende Februar im Buchhandel erhältlich und ist eine Dokumentation der Materialien, die unsere Gruppe erarbeitet hat.
aus: Für Dich, 8/90, 28. Jahrgang