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Annett Gröschner, lilo

Länderbericht DDR
Frauencamp Ruigoard (bei Amsterdam) 3. - 13. August 1990

Zur gegenwärtigen Situation in der DDR
Gruppen wie die "lila offensive" waren ausgegangen von einem feministischen Konzept innerhalb eines demokratischen Sozialismus unter der Prämisse, daß die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise zwar Voraussetzung, aber keine Garantie für die Aufhebung patriarchaler Unterdrückung ist.
In der Zeit von Oktober bis Dezember waren diese Papiere noch keine Utopie. Mit dem überstürzten Fall der Mauer sind unsere Hoffnungen, einen demokratischen Sozialismus versuchen zu können mehr und mehr geschwunden und wir müssen uns damit auseinander setzen, daß jede dieser von uns erarbeiteten Positionen über Jahre, Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte erkämpft werden muß.
Die auch mit Hilfe des Frauenverbandes erarbeiteten Beschlüsse des paritätisch besetzten Runden Tisches, wir denken dabei vor allem an die Sozialcharta, die Rechte wie das auf Arbeit und Wohnen, Gleichstellung von Frau und Mann festschreibt, werden zunehmend ins Abseits gedrängt und genauso verworfen wie ein Verfassungsentwurf, der eben auch diese Rechte verfassungsmäßig verankern wollte. Stattdessen werden nach und nach alle Gesetze und Verordnungen der Bundesrepublik, einschließlich des Familienrechts übernommen oder werden es nach einer Übergangszeit. Es wird dabei vollständig eine vierzigjährige Geschichte negiert, die neben dem Stalinismus deutscher Prägung auch noch Menschen hervorgebracht hat, die zum Teil eine andere Sozialisation erfahren haben als Menschen in der Bundesrepublik. Es gibt keine Phantasie, Neues in einem gemeinsamen Deutschland auszuprobieren, stattdessen Kolonisation auf allen Gebieten und in allen Schichten und Gruppierungen, einschließlich der Frauenbewegung. Die Überstürzung der Einheit und die Unklarheit über die Zukunft der Einzelnen lenken ab vom politischen Engagement gegen diese Zusammenkittung. Statt ideologischer Mauern gibt es nach der Währungsunion die Mauer des Geldes, die vor denen steht, die nicht bereit oder nicht in der Lage sind, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Dazu gehören, das ist schon jetzt ersichtlich, mehr Frauen als Männer. Beide Staatsverträge zwischen der BRD und der DDR, die den Anschluß außerhalb parlamentarischer Kontrolle vorbereiten, wurden ausschließlich von Männern vorbereitet, die gerade die Bedingungen von Frauen grob mißachten.
Die Frauenbewegung wird währenddessen mit einer leidigen Diskussion um den § 218, das Gesetz über das Abtreibungsverbot aufgehalten.
Ein großes Manko ist, daß es unter den Frauen der DDR, abgesehen von ein paar kleinen Gruppen, kein ausgeprägtes feministisches Bewußtsein gibt und noch nicht abzusehen ist, wie sehr bestimmte Rechtsgrundlagen, die eindeutig bessere waren als die bundesdeutschen, auch als bewahrenswert in das Bewußtsein der Frauen eingegangen und somit zu verteidigen sind. Es ist die Frage, ob daraus ein Widerstandspotenzial erwächst oder ob die Frauen sich mit ihrem Los abfinden. Bisher waren Demos, z.B. gegen den § 218 nur wenig besucht, obwohl 77% der Bevölkerung für die Beibehaltung der Fristenlösung sind. Die Übernahme bundesdeutscher Gesetze bringt viele Nachteile vor allem für Frauen mit Kindern, die Vereinbarung von Elternschaft und Beruf, so schwierig sie in der DDR auch immer gewesen sein mag, wird zunehmend einem Entweder-Oder, entweder Kind oder Karriere weichen. Negativ in der DDR wirkt sich außerde aus, daß ein soziales Netz bzw. alternative Konzepte, die es in der Bundesrepublik teilweise gibt, in der DDR noch nicht da sind. Schon in der DDR wurden Frauen, die schwanger oder in einem Alter waren, wo sie hätten schwanger werden können oftmals nur durch gesetzlichen Zwang gegenüber den Betrieben eingestellt, weil ebend vorwiegend Frauen bei Krankheit der Kinder ausfielen. Die Bedingungen in den Krippen und die Umweltverschmutzung lassen die Kinder oft krank werden. Jetzt kommt es dazu, daß noch geltende Gesetze mißachtet werden, daß zum Beispiel Schwangeren und Frauen im Babyjahr gekündigt wird. Die Arbeitslosenrate von Frauen ist rapide gestiegen, es gibt aber außerdem eine Dunkelziffer, da viele Frauen sich nicht beim Arbeitsamt melden. Kindergärten, Kinderkrippen und Schulhorte, die aus unserer Sicht reformierbar gewesen wären, werden zum teil schon geschlossen oder die Kosten unabhängig vom Einkommen erhöht.
In der DDR gab es bisher einen Hausarbeitstag im Monat für Frauen mit Kindern, verheirateten Frauen und Frauen über 40. Unsere Vorstellungen gingen dahin, den Hausarbeitstag für beide Geschlechter zu erweitern. Nach dem zweiten Staatsvertrag soll er ganz abeschafft werden.
Wir forderten, daß mehr Frauen technische Berufe lernen können, Männer sollten demgegenüber Berufe im Sozialbereich ergreifen - bei Angleichung des Lohnniveaus der frauenspezifischen Berufe an die der vorwiegend von Männern ausgeübten. Stattdessen erwartet uns ein Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen nach einer Übergangszeit.
Wir forderten, daß mehr Frauen in die Politik gehen sollten. Die Bedingungen der Arbeit und der Umgang miteinander haben sich nicht geändert. Vor allem Frauen mit kleinen Kindern ist es nicht möglich, politisch zu arbeiten, weil es (auch in der Frauenbewegung) keine Formen gibt, Politik mit Kindern zu machen. Waren in der alten Volkskammer noch mehr als ein Drittel der Abgeordneten Frauen, sind es in der jetzigen nur noch ein Fünftel. Die Volkskammer beschließt aber im Moment wichtige Gesetzesveränderungen, die Frauen betreffen.
Die von uns geforderte Quotierung ist nichteinmal in oppositionellen Gruppen durchgesetzt worden, in der Wirtschaft werden Frauen selbst aus den untersten Bereichen verdrängt, weil ganze Betriebe stillgelegt werden und die Frauen mit Kindern beim Arbeitsamt nicht mehr vermittelbar sind. Den Frauen wird zunehmend suggeriert, daß es im Interesse der Kinder sei, wenn sie zu Hause bleiben.
Wir forderten in unseren Arbeitspapieren die Aufhebung der einseitigen Festlegung der sozialpolitischen Maßnahmen für Mütter zugunsten beider Elternteile. Es sollte ein Recht und eine Pflicht auf soziale Vaterschaft geben. Stattdessen soll der zweite Staatsvertrag das Gesetz über die bezahlten zwanzig Wochen Schwangerschafts- und Wochenurlaub außer Kraft setzen. In Zukunft sind nur noch acht Wochen vorgesehen.
Verheiratete mit zwei Kindern und Alleinerziehende bekamen bisher im Jahr vier Wochen bezahlte Freistellung bei Erkrankung der Kinder. Der zweite Staatsvertrag schreibt nur noch acht Tage fest und die nur bis zum achten Lebensjahr des Kindes. Für Alleinerziehende wird das in der Perspektive das berufliche Aus bedeuten.
Wir forderten die Abschaffung aller an die Ehe gebundenen Privilegien und die zivilrechtliche Absicherung aller nichtehelichen, einschließlich der lesbischen Beziehungen. Der Schutz der Ehe und Familie ist in der bürgerlichen Gesellschaft nach wie vor eine heilige Kuh, die Ehe- und Familiengesetzgebung in der BRD hat ihre Wurzeln immer noch im Jahre 1871. Die Familienrechtsreform von 1968 in der DDR brachte zum Beispiel für das Scheidungsrecht wesentliche Vereinfachungen. So ist eine Scheidung unkomplizierter, billiger und schreibt keinen Anwaltszwang fest. Durch die existentielle Absicherung der Frauen aufgrund ihrer berufstätigkeit entfiel auch die Unterhaltspflicht.
Statt Anerkennung lesbischer Lebensformen droht uns die Wiedereinführung des § 175, das Gesetz über das Schutzalter homosexueller Handlungen.
Wir forderten rechtliche Grundlagen zur Existenzsicherung aller Alleinerziehenden. Stattdessen sollen Alleinerziehende mit Einführung der Amtspflegschaft unmündig gemacht werden und wir befürchten, daß Ehen aus Angst vor der Zukunft nicht mehr geschieden werden, wenn sie zerrüttet sind oder sich die Versorgungsehe durchsetzt, was die Herrschenden dann zweifelsfrei als Sieg ihrer angeblich familienfreundlichen Politik auslegen werden.
Mit dem Fall der Mauer und dem gleichzeitigen Fall aller Tabus und Verbote treten jetzt verstärkt Formen des Rassismus, Faschismus und Sexismus auf, die durch Verbote nur aus der Öffentlichkeit, nicht aber aus dem Bewußtsein verschwanden. Sexismus ist selbst in linken Zeitschriften noch salonfähig. Die engen Grenzen im Kopf sind noch da, viele Menschen wehren sich gegen Fremdes, Multikulturelles. Letztendlich soll uns unsere Identität, auch wenn sie eine kritische war, entzogen werden. Jetzt sollen wir, die wir aus verschiedensten Gründen nicht ausgereist sind, doch ausreisen und uns von einem Land verabschieden, mit dem wir noch nicht fertig sind, ohne die uns wichtigen sieben Sachen mitzunehmen. Es bleibt eine Leere, da wir die BRD als Identifikation ablehnen müssen. Überspitzt gesagt, soll die Zukunft dem gesunden angepaßten deutschen Mann bis vierzig gehören. Dem müssen wir unseren Widerstand entgegensetzen, auch wenn es jetzt schon über unsere Kraft geht.

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