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lila offensive 1990

Standortbestimmung der Fraueninitiative "lila offensive" (2. Arbeitspapier)

1. Ausgangssituation

In der gesellschaftlichen Umbruchsituation der DDR geraten auch zunehmend "Frauen in Bewegung". Frauen sind wie Männer von Deformierungen durch den zentralistisch-administrativen Sozialismus betroffen. Frauen vereint aber, daß sie die Krise in besonders bedrohlicher Weise erleben.

Denn: In der DDR konnte der formulierte Anspruch in Bezug auf Frauenfrage nicht erfüllt werden. im Gegenteil - eine insbesondere seit den siebziger Jahren verfehlte Frauenpolitik führte zur Reproduktion und Verfestigung patrarchaler Strukturen und zu Emanzipationsprozeß der Frau.

In der DDR wurde das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft selbstbestimmter und selbstgestaltender Frauen, Männer und Kinder einem Gesellschaftskonzept geopfert, in dem Menschen ökonomischen Prämissen untergeordnet, fremdbestimmt und letztlich Objekte von Politik waren.

Frauenpolitik richtete sich nicht mehr auf das Ziel der Gleichstellung von Frauen, sondern wurde zum Instrument einer administrativen Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik. Mit dem Ziel, die Geburtenrate zu erhöhen, schrieb eine staatlich verordnete Sozialpolitik  e i n s e i t i g  den Frauen die Zuständigkeit für die Familien- und Hausarbeit zu.

Um einer vermeintlich effektiveren Wirtschaft willen verblieben Frauen in den minderbezahlten, sog. typischen Frauenberufen und gelangten kaum auf höhere Leitungsebenen. Dies führte zur Verfestigung einer historisch überholten gesellschaftlichen Arbeitsteilung nach dem Geschlecht, die besonders folgenreich ist:
- Frauen wird durch die einseitig auf sie festgeschrieben "Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft" eine Doppelbelastung und damit eine enorme psychische und psychische Überanstrengung zugemutet.
- Die Orientierung von Frauen auf die Hauptverantwortung für Haus- und Familienarbeit verweist sie zwangsläufig in Beruf, Politik und gesellschaftlichem Leben in die zweite Reihe.
- Frauen haben mehrheitlich die minderbezahlten und minderbewerteten Arbeitsplätze, sie erhalten kaum Zugang zu zukunftsträchtigen Berufen und Leitungsfunktionen.
- Die Unterschätzung und Minderbewertung weiblicher Handlungsfähigkeit hat die Reproduktion und Verfestigung eines diskriminierenden patriarchalen Frauenbildes zur Folge.
- In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zeigen sich, forciert durch die Medien Tendenzen der Sexualisierung des Frauenkörpers. (Misswahlen, Striptease, Pornographie) sowie eine Zunahme der Gewalt gegen Frauen.
- Die Individualität von Frauen und Männern verarmt in einer von Kindheit an fremdbestimmten geschlechtsstereotypen Erziehung.
- Das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, die eigenen Interessen zu artikulieren und durchzusetzen sind bei Frauen als Folge der Diskriminierung geringer ausgeprägt als bei Männern.

Die Diskriminierung von Frauen wird als Sexismus bezeichnet.
Sexismus ist Ausdruck patriarchaler Verhältnisse und bezeichnet die Unterdrückung, Herabwürdigung und Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts.

Wir Frauen der "lila offensive" gehen davon aus, daß die Frauenfrage in der DDR. nicht gelöst ist. Das bedeutet auch: Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise ist zwar eine Voraussetzung, aber keine Garantie für die Aufhebung patriarchaler Unterdrückung. Diese Art von Unterdrückung besitzt eine klassen- und systemübergreifende gesamtkulturelle Dimension. Dieser Tatsache müssen sich Frauen bewußt werden.
Nur von ihnen kann die Initiative zur Veränderung der Situation ausgehen.

2. Zielstellung der Fraueninitiative "lila offensive"

Das Ziel der "lila offensive" ist die Gleichstellung von Frauen und Männern, die zu einem qualitativ neuen Selbstverständnis der Geschlechter und damit zu einer neuen Qualität der gesellschaftlichen Verhältnisse führt.

Die Gleichstellung der Geschlechter gehört für uns zu den Grundwerten einer sozialistischen Gesellschaft. Das durch uns angestrebte alternative Gesellschaftsmodell sieht in den selbstbestimmten individuellen Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen, Männer und Kinder das eigentliche Ziel. Wirtschaft, Politik und gesellschaftliche Öffentlichkeit müssen Instrumente zur Realisierung dieses Gesellschaftsmodells sein und nicht umgekehrt.

Wir wollen uns beteiligen am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft
- die ökologisch, demokratisch, feministisch, multikulturell, nichttotalitär und sozial gerecht ist
- die nicht konsum- und konkurrenzorientiert ist
- ohne soziale Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der Lebensform, der Sexualität, des Alters, der Hautfarbe, der Sprache und aufgrund von Behinderungen

Wir treten ein für eine umweltbewußte Alternative zur gegenwärtigen patriarchalen Wirtschaftsweise, die die Natur zum Objekt eines an Quantität orientierten Fortschrittskonzepts macht. Nicht der Grad der erreichten Naturbeherrschung ist Maßstab für den Grad der Kulturentwicklung, sondern der verantwortungsvolle Umgang des Menschen mit sich und seiner Umwelt.

Wir sind für eine radikalere Bestimmung des Leistungsbegriffs. Das Leistungsverständnis muß an den Fähigkeiten und Möglichkeiten des Individuums orientiert sein und nicht einseitig von den Kriterien der ökonomischen Effektivität und Verwertbarkeit ausgeben. Das heißt: Der ganzheitliche Lebenszusammenhang muß Grundlage der Bewertung sein.

Wir Frauen der "lila offensive" wollen insbesondere die Mechanismen und Strukturen benennen und beseitigen, die soziale Ungleichheit von Frauen und Männern reproduzieren und festschreiben:
1.) Wir wollen dazu beitragen, das Problembewußtsein hinsichtlich der Stellung und Situation von Frauen herauszufordern bzw. bestehendes differenzieren.
2.) Wir wollen Veränderungen in gesellschaftlichen Bedingungen einfordern, die auf die Herstellung realer Gleichstellung von n Frauen und Männern gerichtet sind.
3.) Wir vollen dazu beitragen, die Fähigkeit von Frauen, ihre Situation zu erkennen, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu artikulieren und schließlich daraus abgeleitete Absichten und Forderungen zu realisieren, entscheidend zu erhöhen.

3. Selbstverständnis der Fraueninitiative "lila offensive"

Wir verstehen uns als Feministinnen.

Frauen sind in der DDR in den meisten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Männern gegenüber benachteiligt (vgl. auch Ausgangssituation).

Feminismus ist für uns Interessenwahrnehmung und Interessenvertretung für Frauen im Sinne der Gleichstellung der Geschlechter - unabhängig von ihren Lebens- und Liebesverhältnissen.

Feminismus ist nach zwei Seiten hin bestimmbar:
- Feminismus ist eine Art der Sicht auf gesellschaftliche Verhältnisse. Sie analysiert und nimmt diese bewußt unter dem Aspekt wahr, welchen Platz, welche Rolle und welche Bedeutung Frauen in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft haben. Diese, patriarchalen Gesellschaftsverhältnissen fremde Sichtweise impliziert Fragestellungen und Denkansätze, die sich von den üblichen unterscheiden und in der Konsequenz zu neuen wissenschaftlichen Einsichten und Lebensformen führen. Sie schließt auch Werte wie Phantasie, Kreativität, Emotionalität, Umweltempfinden und Körperselbstverständnis ein.
- Feminismus ist zugleich die Bezeichnung für eine Politik, die das Ziel hat, das Geschlechterverhältnis als Machtverhältnis aufzuheben.

Eine feministische Sicht- und Handlungsweise bezüglich der gesellschaftlichen Umgestaltung ist in unserem Verständnis solange nötig, bis Frauen und Männer einander als gleichwertige PartnerInnen begegnen.

Wir solidarisieren uns mit all jenen, die durch die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen ohne eigenes Zutun soziale Benachteiligung erfahren.
Der Kampf von Frauen um die reale Gleichstellung bedarf einer Doppelstrategie von Autonomie/Eigenständigkeit einerseits und Kooperation/Integration andererseits.

Eigenständige und autonome Organisierung und Interessenvertretung von Frauen ist unabdingbar
1. weil sich Frauen um ihre Befreiung in erster Linie selbst kümmern müssen.
2. für die Bewußtseinsbildung und Selbstfindung von Frauen in Strukturen, die wir frei machen wollen von patriarchalen Mustern und Zwängen.
3. für die Motivierung von Frauen, für ihre eigenen Interessen selbstbewußt einzutreten.
4. für die Ausprägung eines Bewußtseins hinsichtlich ihrer Situation als mehrheitlich benachteiligtes Geschlecht.
Zusammenarbeit und kritische Mitarbeit sind notwendig, weil
1. die Frauenfrage eine gesamtgesellschaftliche Frage ist und somit Angelegenheit aller gesellschaftlichen Kräfte sein muß.
2. die reale Gleichstellung von Frauen nur durchsetzbar ist durch das Zusammenwirken von Frauen und Männern in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

4. Arbeitsweise und Struktur

Die Frauengruppe "lila offensive" als Gruppe und die durch sie zu bildenden thematischen Arbeitsgruppen und konkrete Projekte sind Frauen vorbehalten.

Die "lila offensive" ist unabhängig von anderen Parteien und Organisationen.

Wir verstehen uns als eigenständige Fraueninitiative innerhalb des unabhängigen Frauenverbandes.

Wir streben eine Kooperation und punktuelle Zusammenarbeit mit Parteien, gesellschaftlichen Organisationen und autonomen Gruppen an, die in der frauenpolitischen gesellschaftsstrategischen Zielstellung unseren Vorstellungen entsprechen bzw. nahe kommen.

5.Forderungskatalog

Gliederung:
1. Politik und Wirtschaft
2. Bereich der individuellen Reproduktion
3. Individuelle Entfaltung der Persönlichkeit
4. Sozialisation
5. Recht
6. Sexuelle Selbstbestimmung
7. Gewalt gegen Frauen
8. Sensibilisierung für Frauenfragen
( + = Sofortmaßnahmen, - = längerfristige Maßnahmen)

Vorbemerkung:
Für die Umsetzung unserer gesellschaftlichen Vorstellungen sehen wir folgende Grundbedingungen als notwendig an:
- Die Souveränität der DDR ist zu bewahren.
- Rüstungsausgaben sind radikal zu reduzieren und zugunsten von sozial Schwächeren umzuverteilen.
- Internationale und nationale Konflikte sind mit friedlichen Mitteln zu lösen.
- Das Recht auf Arbeit ist für jede und jeden grundsätzlich zu sichern.
- Es darf keine Reorganisation unserer Gesellschaft zugunsten kapitalistischer Verhältnisse geben.
- Antifaschismus, Antiimperialismus und Antistalinismus sollten Wesenselemente unseres Landes sein.

1. Politik und Wirtschaft
Die Interessen von Frauen müssen In allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Berücksichtigung finden.
Deshalb fordern wir:
- Quotierung in allen Machtbereichen von Politik und Wirtschaft
- Quotierungsmodelle sind zu erarbeiten und stufenweise umzusetzen
- Dafür sind die materiellen und ideellen Voraussetzungen zu schaffen, u.a.
- Erarbeitung neuer Bewertungskriterien für Leistung
- öffentliche Diskussion der Quotierung in Sinne einer Sensibilisierung für dieses Problem und die Notwendigkeit der Durchsetzung
- Quotierung ist entsprechend gesetzlich zu fixieren

1.1. Politik
Politische Entscheidungen auf allen Ebenen werden in Zukunft nicht mehr ohne Frauen zutreffen sein.
Deshalb fordern wir:
- Einführung einer 50% Quotierung bei der Aufstellung von KandidatInnen für alle Ebenen der Volksvertretungen (Volkskammer, Bezirks- und Kreistage)
- Durchsetzung von Quotenregelung in den Leitungen vor. Parteien und Organisationen entsprechend dem Anteil von Frauen und Männern
- Zulassung und Förderung alternativer Interessenvertretungen von Frauen
- Zulassung des Unabhängigen Frauenverbandes und
- Bereitstellung von Räumen und der materiell-technischen Basis zum Aufbau und zur Koordination der Arbeit des Frauenverbandes
- parlamentarische Gewaltenteilung in Bezug auf Fraueninteressen und ihre Vertretung
- bis Mai ein Frauenreferat in der Regierung, ab Mai Bildung eines Staatssekretariats auf Regierungsebene

1.2. Wirtschaft

1.2.1. Ökologischer Umbau der Industrie und Landwirtschaft
Die bisherige Entwicklung der Wirtschaft in unserem Land hat den selbstverschuldeten bedrohlichen Zustand unserer Umwelt mißachtet und nur unzureichende Maßnahmen zu ihrer Gesundung veranlaßt.
Deshalb fordern wir:
- Ökologiegerechter Umbau der Industrie und Landwirtschaft
- Forschung und Umsetzung alternativer Methoden der Ressourcennutzung
- Beachtung/Erhaltung der natürlichen Kreisläufe
- Sensibilisierung für authentisch menschliche Bedürfnisse z.B. Ernährungsweise
- tägliche Information über alle Umweltdaten in allgemeinverständlicher Sprache und zu festen Zeiten

1.2.2. Soziale Umbau der Wirtschaft
Wir fordern:
+ den besonderen Schutz des verfassungsmäßigen Rechts auf Arbeit vor allem für Frauen bei der bevorstehenden Wirtschafts- und Verwaltungsreform
+ bei Arbeitskräfteumstrukturierungen, Freisetzungen, Neueinstellungen darf es keinen sozialen Abstieg von Frauen geben
+ Wirtschaftsvereinbarungen mit ausländischen Staaten und Firmen dürfen keine frauendiskriminierenden Regelungen enthalten
+ Schaffung von Betriebsräten, einschließlich ihrer Frauenbeauftragten mit entsprechender Kompetenz in den jeweiligen Einrichtungen
- Reduzierung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit

1.2.3. Erwerbstätigkeit
Die reale ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern sowie freier Zugang von Frauen und Männern zu allen Berufszweigen ist zu erreichen.
Deshalb fordern wir:
- Höherbewertung und bessere Bezahlung sog. "frauentypischer" Berufe
- Förderung der Motivation und des Zugangs von Frauen zu wissenschaftlichen und technischen Berufen, auch durch entsprechende strukturelle Veränderungen
- Förderung der Motivation und des Zugangs von Männern zu Berufe des sozialen Bereichs (Kindererziehung, Gesundheitswesen, Dienstleistung)
- gleiche Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen und Männern in einem Beruf
- Quotierung der Lehrstellen, um traditionelle Besetzungen bestimmter Berufe aufzubrechen

1.2.4. Eltern- und kinderfreundliche Arbeitsgesetzgebung
- Förderung der Vereinbarkeit von Mutterschaft u n d Vaterschaft und Berufstätigkeit
- Erweiterung der steuerlichen Vergünstigungen bzw. finanziellen Zulagen für Kindererziehende
- gleiche Möglichkeit für Frauen und Männer hinsichtlich Teilzeitarbeit
- Erweiterung der Möglichkeit zur Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger ohne finanzielle Benachteiligungen

2. Bereich der individuellen Reproduktion
Frauen und Männer übernehmen Verantwortung und Arbeitsaufwand für den häuslichen Bereich zu gleichen Teilen.
Dazu sind folgende Schritte notwendig:
- Erweiterung/Neudefinition des Begriffes Arbeit, so daß er auch die individuelle Reproduktion als Leistung für die gesamte Gesellschaft umfaßt.
+ Aufhebung der einseitigen Festlegung sozialpolitischer Maßnahmen auf Mütter
- Recht und Pflicht zur sozialen Vaterschaft
Erhöhung des Vergesellschaftungsgrades der individuellen Reproduktion durch:
- qualitative und quantitative Verbesserung der gesellschaftlichen Kinderbetreuung und der Betreuung älterer BürgerInnen, Förderung alternativer Konzepte, v.a. auch der Heimerziehung
- Ausbau und Verbesserung der Dienstleistungen
- Ausbau der Infrastruktur, v.a. des Verkehrswesens nach ökologischen Gesichtspunkten

3. Individuelle Entfaltung der Persönlichkeit
Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Gestaltung von Lebens- und Liebesverhältnissen
- Abschaffung aller an die Ehe gebundenen Privilegien hinsichtlich Adoption
- zivilrechtliche Absicherung aller nichtehelichen (einschl. lesbischer) Lebensgemeinschaften
- rechtliche Grundlagen zur Existenzsicherung aller Alleinerziehenden
- Legalisierung von Selbsthilfegruppen
- Schaffung materieller und ideeller Voraussetzungen, damit RentnerInnen ihr Leben selbstbestimmt gestalten können
- Schaffung materieller/ideeller Voraussetzungen zur Integration Behinderter in der Gesellschaft
- Neubestimmung des Verhältnisses zu sogenannten sozialen Randgruppen, Abbau von Vorurteilen und der Kriminalisierung
- Enttabuisierung des Todes und soziale Integration Sterbender

4. Sozialisation
Abbau geschlechtsstereotyper Denk- und Verhaltensnormen durch Abbau rollenfixierter Erziehung
- kritische Analyse von Lehrplänen und - Büchern hinsichtlich der Vermittlung von Geschlechtsrollenstereotypen und Erarbeitung neuer Lehrmittel
- enttabuisierte Sexualerziehung
- öffentliche Thematisierung in den Medien
- Erziehung zur Übernahme gemeinsamer Verantwortung für die Schwangerschaftsverhütung, Schwangerschaft, Geburt und das Leben mit Neugeborenen

5. Recht
- das in der Verfassung fixierte Recht der Gleichberechtigung von Mann und Frau sollte durch Verfassungsgerichtsbarkeit konkret einklagbar sein
- Überarbeitung des Strafgesetzbuches mit dem Ziel der konsequenten Bestrafung jeder Form von Gewalt gegen Frauen (einschließlich in der Ehe)
- Herstellung eines gleichberechtigten Status von Männern hinsichtlich des Erziehungsrechtes bei Scheidungen sowie generell bei Wahrnehmung sozialer Vaterschaft
- Erweiterung des Adoptionsrechtes und unbürokratischere Handhabung
- Humanisierung/Enttabuisierung des Strafvollzugs unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Frauen
+ Änderung des Wehrdienstgesetzes (keine Einbeziehung von Frauen)

6. Sexuelle Selbstbestimmung
Zu den elementarsten Rechten der Frau gehört die Selbstbestimmung über ihren Körper.
- Sicherung des Rechtes auf Schwangerschaftsabbruch
- psychosoziale Begleitung/Beratung von Frauen vor, nach und während des Schwangerschaftsabbruchs
- Humanisierung des Gesundheitswesens, v.a. der gynäkologischen Betreuung
- Zulassung/Gleichberechtigung alternativer Medizin und feministischer Naturheilverfahren
- Strengste Überwachung und rechtliche Eingrenzung der Gen-Forschung, sowie der Gen- und Reproduktionstechnologien
- öffentliche Diskussion und Abbau von Denk- und Erziehungsmechanismen, die heterosexuelle Orientierung einseitig dominierend festschreibt
- Möglichkeit der Sterilisation auf ausdrücklichen Wunsch für beide Geschlechter

7. Gewalt gegen Frauen
Die ansteigende Tendenz zur Gewalt gegen Frauen und Kinder sollte ohne Sensationsgier öffentlich gemacht und diskutiert werden.
- Enttabuisierung der Tatsache von Gewalt und sexistischen Verhaltensweisen gegen Frauen
- am Arbeitsplatz/Öffentlichkeit/Medien
- in der Partnerschaft
- Bewußtmachen des Ausmaßes sexueller Gewalt insbesondere von Vergewaltigungen, Veröffentlichung von Zahlen, Abschätzung der Dunkelziffer einschließlich der Tötungsverbrechen
+ Maßnahmen zum Schutz von Frauen gegen Gewalt (Notrufnummer, Möglichkeit der Nutzung von Dienstabteilen in Nachtzügen, Frauentaxidienst)
+ Einrichtung von Frauenhäusern für Frauen/Kinder in Notsituationen
- Sensibilisierung für Ausgrenzung, Diffamierung und Beleidigung von Frauen durch Sprache
- Öffentlichmachen von Prostitution in Vergangenheit und Gegenwart und Aufdeckung der Ursachen/Möglichkeiten der Eindämmung
- keine Kriminalisierung von Prostitution
- Kampf gegen Pornographie

8.Sensibilisierg für die Frauenfrage
Schaffung von Kommunikations- und Begegnungsmöglichkeiten für Frauen, die es Frauen ermöglicht, eigene Bedürfnisse zu entdecken und zu artikulieren. (Frauencafés, -clubs, -bibliotheken, -wohngemeinschaften, -ferienhäuser)
- Entwicklung eines öffentlichen Bewußtseins und der Diskussion über die Frauenfrage/Geschlechterfrage
- Öffnung der Medien für diese Problematik, Zulassung neuer Frauenzeitschriften, Sendungen etc.
- Veröffentlichung und freier Zugang zu feministischen Forschungsergebnissen
- Thematisierung und Abbau sexistischer Medieninhalte
- Förderung frauengerechter Sprache und Sprachverhaltens
- Förderung von Frauenforschung/Frauenforschungsinstitut

6. Exkurs

Ausgangsposition
Zur Herausbildung und zum Wandel der Stellung der Geschlechter in der Gesellschaf
Im marxistischen Gesellschaftsverständnis ist die Entstehung und Entwicklung sozialer Erscheinungen und Prozesse in letzter Instanz zurückführbar auf die Produktionsweise einer Gesellschaft.

Bei der Herausbildung der Klassengesellschaft in frühgeschichtlicher Zeit waren diejenigen Produktionsmitteln die die Erzeugung einen Mehrprodukte ermöglichten, in der Hand der Männer (bedingt durch die naturwüchsige Arbeitsteilung). Es entstand Ungleichheit hinsichtlich Macht und Ansehen von Männern einerseits und Frauen andererseits. (1) Der Mann begann über die Frau zu dominieren, die Frau war dem Mann als erstem Besitzer von Privateigentum in allen wesentlichen Aspekten untergeordnet. Dies geschah gleichzeitig mit der Aufspaltung der Gesellschaft in Besitzende und Besitzlose, in Herrschende und Beherrschte als Folge der Entstehung von Privateigentum.

Die "weltgeschichtliche Niederlage den weiblichen Geschlechts" (2) ist der Anfang den PATETARCHATS der Herrschaft des Mannes über die Frau
Die unterschiedliche Stellung der Geschlechter zu den Produktionsmitteln bzw. zum Eigentum an ihnen war die eigentliche Ursache für die Entstehung der "Geschlechtssklaverei".

Mit der Herausbildung der Klassengesellschaft erfolgte der Übergang von der naturwüchsigen Arbeitsteilung zur gesellschaftlichen Teilung der Arbeit nach dem Geschlecht. Die Reproduktion geschlechtstypischer Arbeitsteilung über Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart ist eine wesentliche Bedingungskomponente für patriarchale Unterdrückung.

Mit zunehmender Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, der Entstehung eines vielfältig strukturierten Überbaus, erlangte die unterschiedliche Stellung der Geschlechter eine relative Eigenständigkeit, Sie wurde ins gesellschaftliche Bewußtsein umgesetzt und gestützt durch die jeweils gültigen Anschauungen in Kunst" Wissenschaft, Recht, Bildung und Ideologie.

Im Laufe der Geschichte der menschlichen Gesellschaften war die Stellung der Geschlechter in der Gesellschaft Wandlungen unterworfen. Wesentlich ist hierbei, daß diese sich nicht auf den Wandel der Produktionsweise allein zurückführen lassen, sondern von Veränderungen in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Bewußtseins begleitet und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil durch sie bewirkt bzw. ausgelöst wurde. Die Geschlechterfrage (d.h. die Frauen- und Männerfrage!) ist ökonomisch nicht faßbar, sie ist sowohl ein ökonomisches als auch ein sozialpsychologisches Phänomen.

Folglich ist die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht per se gleichbedeutend mit der Aufhebung der sozialen Ungleichheit von Frau und Mann. Hierzu bedarf es außer sozialistischen Produktionsverhältnissen eines tiefgreifenden Wandeln den gesellschaftlichen Bewußtseins, der geistigen Kultur (Kunst, Wissenschaft, Ideologie, Alltagsbewußtsein etc.), der Gesellschaft.

Sozialwissenschaftliche Forschungen belegen, daß sich in der DDR zwar positive Veränderungen hinsichtlich der Situation und des Ansehens sowie des Selbstverständnisses von Frauen vollzogen haben, aber dennoch das Wesen der gesellschaftlichen Verhältnisse noch immer als patriarchalisch charakterisiert werden muß. Nach wie vor sind männlich dominierte Maßstäbe, Denkweisen und Verhaltensweisen präsent und normbestimmend.

(1) Diene Formulierung stellt den mehrheitlichen Konsens der Gruppe dar, Es gab jedoch noch einen anderen Ansatz Die Klassengesellschaft bildete sich durch die Umwandlung des Mehrprodukts in Privateigentum heraus. Da mehrheitlich Männer infolge ihrer sozialen Stellung an der Erzeugung den Mehrprodukts beteiligt waren, kam en zur Konzentration von Privateigentum in männlicher Band. Ursache und Folge diesen Prozesses ist die unterschiedliche psychosoziale Stellung der Geschlechter.
(2) Engels, Friedrich In: MEW 21, Berlin 1984 S.6

aus: gesammelte Flugschriften DDR `90 Heft 2, Januar 1990, Redaktion und inhaltliche Gestaltung: Aktive aus Ostberlin, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin
[Arbeitspapier der Lilos, 2. Entwurf ohne Datum und Jahr]

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